Die Kalenderfrau Fast ganz hinten in Halle 3 der
Leipziger Buchmesse, knapp vor der Messebuchhandlung war der Gemeinschaftsstand des Arbeitskreis kleiner unabhängiger Verlage. Dort wurden auch Restbestände von Kalendern des bereits laufenden Jahres günstig verkauft. In diesem Gemeinschaftsstand war das Regal des Miteinander Verlags, der auch meine zwei Bücher mitpräsentierte. Ich war zeitweise dort und sass auf einem Stuhl davor. Von hier aus liess sich das bunte Treiben beobachten und ich konnte auf Interessenten meiner Bücher
persönlich eingehen. Genau neben diesem Bücherregal stand am Boden eine Metallkiste mit diesen verbilligten Kalendern. Begierig suchten die Besucher darin und fanden ihre Schnäppchen. Eine kleine Frau mit pfiffigem Gesicht war hier Stammgast und kramte immer wieder in der Kiste. In ihrem Eifer legte sie ohne Nachzudenken einige Kalender vor unserem Bücherregal aus und verdeckte
damit einen Teil unserer Buchpräsentation. Da sich dies zeitlich ausdehnte reagierten wir leicht verärgert aber zunächst höflich und baten darum, dass sie sich einen anderen Platz suche. Doch diese ignorierte völlig unverständlich unsere Bitte, worauf ich etwas deutlicher wurde. Sie erwiderte mit kecken Sprüchen und es dauerte eine Weile bis sie begriff, dass sie bei und unerwünscht sei und wich zu einem Tisch und Stühlen in der Nähe aus. Dort blätterte sie recht umständlich in den
Kalendern weiter. Der Sprecher des Arbeitskreises bemühte sich nun unverzüglich um diese nervige Frau, die er als Stammgast schon seit Jahren kannte. Befreit von ihrer lästigen Nutzung unseres Bücherregals lachten wir herzlich über diese komische Frau, den nun war der Sprecher des Arbeitskreis voll auf mit ihr beschäftigt. Etwas später kam sie noch mal zu uns und entschuldigte sich auf ihre trockene Art und ich zeigte ihr mein Lachen über ihre Originalität. Für sie war das vollkommen
in Ordnung, da sie damit Humor in unseren Alltag brachte. Am nächsten Nachmittag war sie wieder da und kramte erneut in den Kalendern. Ein älteres Ehepaar, pensionierte Kunsterzieher, hatten sich mehrere Kalender reserviert. Sie befand diese schön und versuchte nun diesen Beiden einige ihrer ausgewählten Kalender abzuluchsen. Die beiden Alten erregten sich über deren Dreistigkeit
und so war die Kalenderfrau erneut Gesprächsstoff um uns herum. Mit insgesamt acht Kalendern zog sie irgendwann von dannen und der Sprecher des Arbeitskreis Kalenderverlage schlug drei Kreuze. Seit zehn Jahren kenne er nun diese Kundin und wenn diese noch vier Jahre länger käme, könne er sich einweisen lassen, frotzelte er. Als die Messe beendet war reagierte er aufatmend, da die kleine Frau sich nun auch aus seinem Bannkreis entfernt hatte. Als ich die Halle verliess traf ich sie noch einmal an einem anderen Verlagsstand und dort kramte sie in den Resten eines im Abbau befindlichen Standes. Was mochte sie da noch suchen, welchen Schätzen jagte sie noch nach? Was filtrierte sie alles aus der Vielfalt der Bilder und Texte? Mir schien sie sammelte in zwei Märztagen die Impulse für das ganze restliche Jahr. Sie war an der unerschöpflichen Quelle von Sprache und
Kreativität. Auf ihre direkte burschikose Art bohrte sie im breiten Angebot wie ein Holzwurm im dicken Gebälk. Denn sie bohrte Löcher in die Menschen, sägte an den Nerven und erzwang sich humorigen Respekt. Oft versuche ich hinter die Fassade der Menschen zu blicken, um deren Beweggründe zu verstehen. Doch bei dieser Frau waren wir alle am rätseln,
spotteten etwas über ihre derbe Art, begriffen nicht recht die Motivation ihres beharrlichen Treibens. War dies geistig umnachtet, einer etwas neben sich stehenden Person oder einfach nur eine urige Triebkraft sich selbst zu entdecken in den Bildern. Die eigene Kreativität zu entdecken, die Weiblichkeit hinter ihrer burschikosen Fassade. Selbstfindung auf diese ganz spezielle Art? Ich
konnte es nicht ergründen, doch blieb mir dieses Original in wacher Erinnerung, mehr als tausend andere im Treiben dieser grossen Messe. Dabei war sie von kleiner Statur, aber voller Energie und von überaus hartknäckiger Natur. Ein Energiebündel auf der Suche nach sich selbst, auf urige Art wie es kauzige Originale an sich haben. Sie nerven zwar manchmal, doch prägen sie die Erinnerung in uns, da sie Unikat sind, einmalig in ihrer Art. Solche Menschen fallen auf, weil sie sind wie sie sind und sich nicht auflösen in der angepassten Masse. Sie provozierte Gefühle in uns, Verwunderung, Ärger, Lachen und vorallem Fragen. Was diese eigenartige Frau alles in uns bewirkte, gedanklich in Bewegung gesetzt, einfach weil sie anders war, als wir es gewohnt sind. |