1. November  2018

Kulinarischer Nachtexpress

1973, gerade mal so zweiundzwanzig Jahre jung bewohnte ich eine Eineinhalbzimmerwohnung in einem Hochhaus in Dornstadt bei Ulm. Vom Balkon aus hatte ich Blick auf die in der Ferne verlaufende Autobahn Ulm - Stuttgart. Damals gab es noch viele offene Stellen und gute Jobs. Ein jugoslwawischer Nachbar vermittelte mich hin zur Firma Käse Henke in Dornstadt, die viele Gaissmayer- und Nanzfilialen zwischen Stuttgart und Allgäu mit Joghurt, Sahne und Käse belieferte. Es gab zwölf nächtliche Touren mit 7,5 Tonner LKWs, die man selber mit der Tonnage beladen mußte und dann nachts 20 bis 40 Filialen beliefern mußte. Dazu hatte man einen Lieferschein, nachdem man vor Ort alles zusammenstellen mußte und in spezielle Container packen mußte. Diese waren teils in verschlossenen Räumen, teils außerhalb der Filialen in teilgesicherten Behältern. Dort lagerte dann auch die Rückläufer, welche von den Filialen zurück gegeben wurden und wir wieder mitnehmen mußten.

Wenn wir Fahrer alles korrekt verteilten und fehlerfrei ohne etwas nachhause kamen, bekam man eine Extraprämie, die man natürlich gerne kassierte. Also machte man es passend und deponierte Überschüsse irgendwo im Gebüsch vor Dornstadt, wo man es sich dann am Vormittag mit PKW abholte. Oder man tauschte unterwegs mit anderen Lieferanten oder Bäckern, die gerne Schlagsahne gegen Brötchen und Brot tauschten. Mit Lieferanten von Gaissmayer tauschten wir Joghurt gegen Fleisch und Gemüse. So billig hatte ich davor und danach nie mehr gelebt. Natürlich schlemmte man auch nachts leckere Joghurts von Emmi oder Sahnejoghurts von Chambosy. Nur man aufpassen, das man es nicht übertrieb und davon Durchfall bekam. Ein Jugoslawe den ich da mal einschulen mußte, trank mehrere  Familienbecher Joghurt und hatte darauf gewaltigen Überdruck im Hintern. Nur wo nachts eine Toilette finden? Schließlich fand ich ein Bahnwärterhäuschen, wo einer aufmachte und der Jugoslawe sich erleichtern konnte.
Da ich damals schon ein gutes Auffassungsvermögen hatte, schulte man mich auf vier verschiedene Touren ein und nutze mich als Springer wenn andere frei hatten oder aus anderen Gründen ausfielen. Mit schwerfälligeren Transportern war ich im Raum Stuttgart unterwegs. Die Allgäutour mir rund 400 km Fahrtstrecke durchjagte ich Nacht für Nacht bei Regen, Nebel und Wind mit einem Opel Blitz, bis ich mit überhöhter Geschwindigkeit am Elchinger Berg auf der Heimfahrt von der Polizei eingeholt wurde, welche in Leipheim auf solche Temposünder wie mich lauerten.  Aber redete mich gut heraus, mit der Folge einer kleinen Buße und Überprüfungsanweisung des Tachos. Der Firmemwerkstattleiter fluchte nicht schlecht darüber, aber mir wurde selbst die Buße erstattet.

Einmal in der Woche hatte man Kisten voller Käse dabei, teilweise ganze oder halbe Käseräder. Auch davon zweigte man sich etwas ab und wenn es dann beanstandet wurde, ging es auf das Konto von Dieben oder Obdachlosen, welche die halbgesicherten Behälter öfters mal knackten.
Einzelne jugoslawische Fahrer übertrieben es und wurden bei Kontrollen erwischt und verloren ihren Job. Mich ereilte dies nie, da ich in meiner Flexibilität sehr geschätzt wurde. Als ich nach einem halben Jahr kündigte, war der Chef recht betrübt. Aber mich stressten diese Nachttouren immer mehr und der Winter nahte. Bei Schnee und Eis diese Touren zu fahren, ersparte ich mir lieber.
Aber es war ein lustiger Job und eine billige üppige Lebensweise, an die ich mit einem Lächeln gerne zurück denke.

Copyright: Peter Burger

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